Der Löwe, ein schwieriger Freund

Andreas Mandjara,

Assistent des Tierarztes, legt einem betäubten Junglöwen das Sendehalsband an


Meine Begegnung mit der Umweltinitiative von Reimar Gilsenbach begann mit einer ungewöhnlichen Exkursion Mitte der 80er Jahre. Umweltminister Reichelt hatte bildende Künstler und Schriftsteller zu einem Ausflug in einen Senftenberger Tagebau und auf den Kamm des Erzgebirges eingeladen. Die riesigen Tagebaunarben machten mich stumm und der von giftigem Rauch kahlgefressene Erzgebirgskamm führte unter uns zu heftigen Diskussionen. Auf der Rückfahrt, in der Baumschule Tharandt, zeigten uns Wissenschaftler Setzlinge, deren Aufwuchs das Erzgebirge möglicherweise retten könnte. Winzige Nadelbäume - ihre Verwandten waren, gegen Rauch resistent, am Fuße des Vulkans Fudschijama zu Hause. Ob die feinnadligen Japaner am Erzgebirge heimisch werden würden, konnte ich nicht verfolgen. Drei Setzlinge, ein Geschenk des Tharandter Gärtners, erreichten in meinem Dorf inzwischen eine beachtliche Höhe. Grün, stolz, trotzig - inmitten der Einflugschneise des Flughafens Berlin-Brandenburg.

Die Afri-Leo Fondation, heute AfriCat-North, Namibia / Damaraland, nahe Kamanjab, bemüht sich seit 1996 um den Erhalt der namibischen Löwen. Deren Bestand wird heute auf 1200 Tiere geschätzt, sie stellen die Genreserve des panthera leo im südlichen Afrika dar. Löwen werden geschossen, oder auch vergiftet, weil sie Rinder, Schafe und Ziegen der Farmer schlagen und weil sie immer noch als Trophäen begehrt sind. AfriCat versucht durch Monitoring, durch Beobachtung der Rudel und durch entsprechende Warnungen an die Farmer das Töten der Tiere zu verhindern. Jungtiere, deren Mütter umgebracht wurden, werden im geschützten Areal der Farm aufgezogen und danach ausgewildert. Alte, oft kranke Löwen, können, wenn sie wollen, gut versorgt ihre letzten Jahre auf der Farm verbringen. Wesentlicher Teil des Farm-Ökoprojektes ist die „Umweltschule“. In den Ferien laden wir die Kinder aus dem Damaraland ein bei uns in Zelten zu wohnen, um sich mit den Löwen, ihrem Biotop, mit der Natur überhaupt unter fachkundiger Anleitung zu beschäftigen.

Zehn Jahre, bis in die jüngste Zeit, lebte ich drei Monate im Jahr dort im Norden Namibias. In der Regel von November bis Februar. Der „Staff“, Teil des ständigen Personals, war dann unterwegs - Urlaub, Auslandsvorträge um Spenden einzuwerben u.a. In dieser Zeit war ich für die Farm verantwortlich, konnte ich mich gemeinsam mit den Farmarbeitern um die Löwen kümmern - eine wunderbare Arbeit.

Angesichts geschlagener Rinder und zerfetzter Ziegenkadaver blieb auch für Jeremias der Satz der Naturschützer, der Shilumbus von nebenan, jener Leute der dreißig Kilometer entfernten „Afri-Leo Fondation“, der Löwe sei ein Freund, wenn auch ein schwieriger, eine wirklichkeitsferne, ja lächerliche Behauptung. Gern ließ er sich von Baas Uwe, dem Chef der Löwenschützer, helfen. Wenn das Bohrloch trockenfiel, die Pumpenmanschette verschlissen war oder einfach der Wind ausblieb, der das Windrad der Pumpe antrieb, die das mannshohe Wellblechbassin mit Wasser füllte. Die Rinder schrieen dann vor Durst und die Frauen schimpften. Jeremias kramte in solchen Fällen fast immer sein Cellphon hervor, telefonierte - die Löwenschützer halfen, mit Diesel für die motorgetriebene Wasserpumpe, zum Beispiel. Bei anderer Gelegenheit mit Maschendraht, um den Wildzaun zum Naturpark zu reparieren. Aber Jeremias war alt, erfahren und sehr wach, hatte sie im Auge, die von weit herkamen und denen merkwürdige Dinge wichtig waren. Auch diese Hilfe hat ihren Preis, so seine Ahnung, und er schätze sie sehr, seine Unabhängigkeit. So freundlich und klug die Shilumbus ihm auch schienen, er, der Damara, wusste, wie man zwischen den heißen Klippen des Damaralandes, hier auf „Marienhöhe“, Beester hält und Bokkies. Und so zeigte er sich verständig, nahm mit niedergeschlagenen Augen Rat und Hilfe an, wirtschafte aber weiter wie bisher. Die Tiere streunten tags ohne Aufsicht zwischen Felsen und Hakenbusch, drängten sich nachts in den flüchtig angelegten Kraal. Bis zu diesem fünften August, bis zur Mondnacht vom Dienstag zum Mittwoch. Ein Rudel Löwen kroch durch die löchrige Einfriedung, übersprang den Draht zu den Ziegen und wütete unter den Bokkies. Mit Geschrei, Stangen und Gewehren vertrieb Jeremias Familie die großen Katzen. Er selbst war am Abend auf einer Geburtstagsfeier hängen geblieben. Fünfundvierzig tote Ziegen blieben liegen. Muttertiere, Böcke. Lämmer auch, die am nächsten Tag zu barem Geld gemacht werden sollten. Das Schulgeld für die große Tochter war fällig, der Pick-up brauchte neue Reifen. Die Löwenleute halfen. Wieder mit Draht für den Zaun und mit drei Arbeitern, die an Jeremias Seite einen dornigen Wall aus Kameldornästen und trockenem Hakbusch um den Kraal zogen. Löwensicher, stellten sie verschwitzt und von Dornen zerkratzt im Abendlicht fest. Sie waren zufrieden mit ihrer Arbeit und die Frauen waren stolz auf die Männer. Und - für jeden von ihnen gab es ein „Nulldreier“ Windhoek Lager! Weiß der Teufel, woher die Frauen plötzlich die kleinen, braunen Flaschen hatten! Jeremias entschloss sich, noch sein Bier in der Hand, den Nachbarjungen, Matthäus, 17 Jahre, zehnte Klasse und ohne eine Idee, wie es weitergehen sollte, als Hirten einzustellen. Das wird ihm eine Ziege als Monatslohn kosten - egal! Am Tage werden Rinder und Ziegen nun von Matthäus gehütet und nachts im Kraal verwahrt. Sollte er trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen ein Tier an Löwen oder Hyänen verlieren, wird ein Teil des Schadens, das haben die Löwenleute bei den Oberen in Windhoek durchgesetzt, aus der Kasse des Hegegebietes beglichen. Jeremias ertappte sich dabei, diese wunderbaren Katzen nun doch mit anderen Augen zu sehen. Zumal keiner der Alten, die er kannte, jetzt noch darauf aus war, einen Löwen zu schießen. Wenn aber in den Mondnächten sich ihr Grollen nah durch die Felsen schob, stieg für einen Moment der alte Zorn in ihm auf. Nur für einen Augenblick - er war auch ein gerechter Mann, er erinnerte sich, im letzten Jahre hatte er nur einen Esel verloren. Verloren an das Raubzeug, wie er es in großer Männerrunde gelegentlich noch nannte, und er dachte dabei mehr an Hyänen. Manchmal begleitet Jeremias Baas Uwe, wenn der unterwegs war zu Farmern, die so recht nicht glauben konnten, dass der Löwe ein Freund sein kann. Dann erklärt er, wie sie es auf „Marienhöhe“ anstellen, natürlich erwähnt er den tüchtigen Matthäus. Wenn man ihm wirklich zugehörte und er mit der Rede ordentlich in Schwung kam, sagte er manchmal den für ihn noch schwierigen Satz. „Gehört er doch zum Reichtum unseres Landes, der Löwe!“ Und schob dann noch, mehr aus Verlegenheit, hinterher „Das ist doch so, oder?“ Dabei schaute er, gegen seine Gewohnheit, über die Zuhörer hinweg und trat, mit dem letzten Wort schnell einen Schritt zurück.

Jürgen Leskien