Ein Mann für alle Fälle


An einem Sonntagnachmittag im Herbst klingelte es an der Wohnungstür. Draußen stand meine Familie, d.h. eigentlich erkannte ich sie nur an den angstverzerrten Gesichtern. Meine Söhne steckten in Sachen, die ich noch nie gesehen hatte. Mein Mann trug eine Jeans, deren Bund 30 Zentimeter offenstand und die nur durch Hosenträger gehalten wurde. Dazu eine knappe Pyjamajacke und auf dem Rücken einen tropfenden Müllsack mit ihren nassen Klamotten. Mein Lachen fanden sie gar nicht lustig. Sie waren mit dem Kanu auf dem Rhin gekentert. Bei einer legendären Wanderung des FÖN. Die anderen Teilnehmer hatten sie gerettet und ihnen was zum Anziehen geliehen. Werner half mir bei der Klärung der Versicherungsfragen, denn etliche Dinge blieben für immer verschollen in den unergründlichen Tiefen des Flüsschens.

Ich kenne Werner Peter mehr als 30 Jahre. Seit Anfang der 1990er haben wir viele Fernsehbeiträge und Feature für den ORB und später RBB zusammengemacht, über die Schönheit der Heidelandschaft, die Geheimnisse des Werbellinsees oder die wilde Natur Usbekistans. In den Drehpausen erzählte er oft vom FÖN, dessen Vorsitzender er war. So wurde ich neugierig und Mitglied.

Der Verein war äußerst vielseitig. Neben den Schriftstellern, der Malereigruppe gab es eine Medienwerkstatt. Die war Werners Revier. Der studierte Kameramann gewann Techniker, die sich um unser Equipment kümmerten, organisierte den Verleih der vereinseigenen Kamera und Tontechnik und Aufträge vom heimischen Fernsehsender. Daneben mussten Förderanträge geschrieben werden und Streitereien geschlichtet. Denn manchmal ging es heiß her, eskalierten Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedern und Arbeitsgruppen. Einfach war es nicht. Täglich fuhr Werner morgens anderthalb Stunden von Berlin zum Sender nach Babelsberg. Dann Dreharbeiten irgendwo im Land und anschließend wieder zurück nach Hause. Beneidet um diese Doppelbelastung habe ich ihn nicht. Doch er hat nie geklagt. 26 Jahre, 7 Monate und 28 Tage war er unser Vorsitzender, voller Ideen und Tatendrang. Unzählige Male fuhren wir durch die Provinz auf der Suche nach einem Haus für FÖN – für Veranstaltungen, Vereinsleben, unsere Kinderferienlager. Es blieb ein Traum, zum Glück! Denn ich glaube, das hätte uns finanziell und organisatorisch völlig überfordert. Baulich gesehen hatte ich keine Bedenken, denn Werner ist handwerklich sehr geschickt. So brachte er unsere vom Regen durchnässte Kamera mit einem – wie sollte es anders sein – Föhn wieder zum Laufen. Baute kleine Mühlenmodelle aus Holz, drehte sie, dass sie wie große wirkten und den Umzug der Mühlen im 19. Jahrhundert erlebbar machten. Oder er nähte einen Schilfrock für Neptun, der gegen den Havelausbau protestierte. Selbst vor Autos schreckte er nicht zurück. Als einst unser FÖN-Wagen geklaut wurde und wir klamm bei Kasse waren, trieb er einen preiswerten Bus auf und rüstete ihn für unsere Zwecke um.

Seit ich mit Werner unterwegs bin, kenne ich jeden Baumarkt im Land und jede Marina. Und viele irische Lieder. Es ist einfach schön, am Abend nach einer berühmt-berüchtigten Wanderung am offenen Feuer zu sitzen. Werner holt seine Gitarre raus und wir lauschen der Musik.

Iduna Wünschmann