Brodowiner Gespräche
Der Schriftsteller und Umweltaktivist Reimar Gilsenbach hatte 1981 im Dorf Brodowin in der Uckermark einen lockeren Kreis umweltbesorgter Kolleginnen und Kollegen um sich geschart. Man traf sich im Garten seines Grundstücks am Rande des ältesten deutschen Naturschutzgebietes, des Plagefenn. Die Versammelten erörterten, wie sich der weiteren ökologischen Zerstörung der Erde entgegenzustellen sei. Die „Brodowiner Gespräche“, wie diese Zusammenkünfte genannt wurden, standen unter dem Patronat des Kulturbundes, später auch unter dem des Schriftstellerverbandes. Die Drei-Tage-Treffen mit Exkursionen, Vorträgen und Disputen fanden fortan an unterschiedlichen Orten statt. Jedes Jahr begaben sich die Autorinnen und Autoren in eine andere Landschaft: zu den sterbenden Wäldern des Erzgebirges, den Kippen der Braunkohletagebaue, sie reisten zu den gefährdeten Küsten von Rügen. Sie stritten mit Wissenschaftlern, Wirtschaftsleuten und Politikern. Nach dem X. DDR-Schriftstellerkongress 1987 konnte sich im Schriftstellerverband eine Gruppe „Literatur und Umwelt“ etablieren. Wie der gesamte Berufsverband der Autoren wurde sie nach dem Ende der DDR aufgelöst.
Die gute Tradition der „Brodowiner Gespräche“ sollte nach dem Willen der Akteure aber fortgesetzt werden, nun bundesweit. Die Schriftstellerin Lia Pirskawetz ergriff die Initiative. Sie schrieb über hundert Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Ost und West an, um eine Zusammenkunft zu organisieren. Die Tagung fand dann im Herbst 1992 in Chorin, im Biosphärenreservat Schorfheide, statt. Es kamen 32 Autorinnen und Autoren, um gemeinsam über das Thema „Umweltzerstörung – Seelenzerstörung“ zu diskutieren.
Matthias Platzeck eröffnete die Zusammenkunft: Die Stimme der ökologischen Vernunft sei sehr leise geworden, so der damalige Umweltminister Brandenburgs. Auch der Biologe und Agrarwissenschaftler Michael Succow, der einige Jahre später den alternativen Nobelpreis erhielt, zeichnete in seinem Vortrag ein dramatisches Bild vom Zustand der Erde. Der Mediziner und Publizist Till Bastian sprach über den Zusammenhang von Natur, Seele und Frieden. Es gab Beiträge zu Umweltethik, verlogener Umweltsprache und zu den Schwierigkeiten, Umweltprobleme in die Literatur einzubringen. Die Tagung erregte beträchtliche mediale Aufmerksamkeit; in ihrem Verlauf wurde beschlossen, die „Brodowiner Gespräche“ unter dem Namen LITERATUR UM WELT und unter dem Dach von FÖN fortzuführen.
Ich wurde damals um Unterstützung bei der Ausrichtung der Choriner Tagung gebeten. Aus dieser Aufgabe ergab sich eine kontinuierliche Arbeitsbeziehung zu FÖN. 23 Jahre habe ich hauptamtlich die Geschäftsstelle des Vereins in Potsdam geführt.
Seit drei Jahrzehnten gehört die Organisation des Autorentreffens - inzwischen ehrenamtlich - zu meinen Aufgaben: Kompetente Fachleute einladen, anregende Diskussionspartner und Räume für Lesungen vor Ort finden... Mehrmals strahlte das Inforadio des RBB die öffentlichen Podiumsgespräche aus, die zum Tagungsprogramm gehören. Seit nunmehr zwanzig Jahren leitet - gemeinsam mit einem kleinen Gremium von Aktivisten - die Schweriner Schriftstellerin Jutta Schlott den Arbeitskreis. Für Oktober 2021 wird die 30. Jahrestagung vorbereitet. Sie soll sich in Brieske bei Senftenberg mit den Folgen des Braunkohleausstiegs und der Rekultivierung ehemaliger Tagebaue beschäftigen.
Jutta Schölzel